Hühnerabschied

Jeden Montag steige ich für die ersten zwei Unterrichtsstunden in das Untergeschoss unseres Hauptgebäudes hinab, wo die Fenster auf den Schulgarten hinausblicken.

Anfang September ist dort etwas anders als sonst: Ein Gehege wurde aufgebaut, und bald kann ich sie sehen – zwei schwarze Hühner und ein gesprenkeltes, von dem ich weiß, dass sie Einstein heißt.

Kurs darauf wird es laut: dreißig Kinder, bewaffnet mit Block und Stiften, drängeln sich am Gehege, um zu beobachten, zu beschreiben, zu zeichnen. Das macht das Unterrichten drinnen natürlich nicht einfacher, aber es ist andererseits eine tolle Sache – drei ungewöhnliche Gäste der Schule, die Biologie zu einem sehr lebendigen Fach machen. Die Kinder, da bin ich sicher, werden diese Unterrichtstunden nicht wieder vergessen.

Auch in den folgenden Wochen schaue ich montags immer als erstes aus dem Fenster – wo sind die Hühner? Solange es morgens noch dunkel ist, bleiben sie in ihrem Häuschen, auch wenn es regnet, sind sie nicht zu sehen. An schönen Herbsttagen aber laufen sie herum, scharren, picken, nehmen ein kleines Sandbad in einer Kuhle, und immer wieder schaue ich fasziniert aus dem Fenster. Und manchmal denke ich auch: Ich wollt, ich wär ein Huhn…

Ende September dann eine andere Art von Bewegung am Gatter: eine junge Frau in robuster Arbeitskleidung taucht auf, ein Kollege und sogar der Schulleiter. Sie bauen das Gatter wieder ab, die junge Frau fängt die Hühner ein und packt sie liebevoll, aber entschlossen in eine rote Transportkiste, und bald erinnert nur noch ein wenig niedergedrücktes Gras an die Diltheyhühner – bis zum nächsten Jahr.

Claudia Oedekoven